Die „Alte Seefahrtschule“ in Timmel
Das wohl zweifelsfrei interessanteste Gebäude in Timmel ist die „Alte Seefahrtschule“. Auch wenn das Gebäude mittlerweile als Wohngebäude genutzt wird, so war es sicherlich selbst und auch die Geschichten, die sich um die Seefahrertradition ranken, eine Inspiration für das historische Theaterstück „Steerns över Timmel„.
Entstehung
Die Entstehung der ehemaligen Seefahrtschule ist eng verbunden mit der Kolonisierung des Hochmoores und der Gründung der Fehnsiedlungen. Im 18. und 19.Jahrhundert begannen die Bewohner der Fehne immer mehr ihr Geld in der Seeschifffahrt zu verdienen.
Das Königreich Hannover gründete Mitte des 19.Jahrhunderts Schulen für Seefahrer, da viele Unfälle ganz offensichtlich auf Mängel bei der Navigation zurückzuführen waren. Sitz dieser Navigationsschulen, wie sie damals genannt wurden waren u.a. Papenburg (1842), Leer, Emden, Westrhauderfehn und Timmel (1846). Eine Übersicht aus dem Jahre 1875 registriert in Timmel 264 Schüler. In Papenburg waren es 138 und in Leer 62. Um die Jahrhundertwende verdrängten in wenigen Jahren Dampfschiffe die Segler aus der Handelsschifffahrt. Damit verlor auch die Schifffahrt auf dem Fehn an Bedeutung.
Der Ausbildungsbetrieb wurde 1917 eingestellt. Das heutige Gebäude wurde im Jahr 1862 errichtet. Nur wer mindestens zwei Jahre Fahrenszeit als Steuermann hinter sich hat, 24 Jahre alt war, und die Prüfung erfolgreich abgelegt hatte, konnte noch Kapitän werden. Für die Abnahme wurden staatliche Kommissare ernannt. Wer nicht genügend Vorkenntnisse nachweisen konnte, musste eine Vorschule durchlaufen. Da die meisten Schiffe im Winter auflagen, wurden die Vorschulen im Winter abgehalten. Wer dann noch die Navigationsschule besuchte und die Prüfungen bestand, erhielt das Seesteuermannspaten. Es gab auch Schüler, die den Besuch der Schule wiederholten, um ihre Kenntnisse zu vervollständigen. Ab 1870 wurden auch Patente für kleine Fahrt erteilt. Im Jahre 1879 betrug das Schulgeld für einen neunmonatigen Lehrgang 36 Mark.
Voraussetzung für die Aufnahme war eine leserliche Handschrift, die Fähigkeit, sich in der deutschen Sprache mündlich und schriftlich verständlich auszudrücken sowie die Grundrechenarten mit gewöhnlichen Brücken, Dezimal-brüchen und Buchstaben zu kennen. Man musste außerdem mit Proportionen rechnen und Quadratwurzeln ziehen können. Die vermittelten Kenntnisse waren gut, denn mit den Patenten der Navigations-schule in Timmel kreuzten Ostfriesen mit ihren Segelschiffen auf allen Weltmeeren. Der berühmteste Prüfling ist der als Kommandant der “ Seeteufel “ bekannte Felix Graf Luckner. Er erhielt in Timmel sein Zeugnis als Seesteuermann auf großer Fahrt.
(Quelle: Navigationsschule Timmel)
Die königliche Navigationsschule Timmel
Die Überlegenheit der hannoverschen Schiffsflotte im deutschen Nordseeraum wurden von den hannoverschen Statistikern immer gerne herausgestellt: Ostfriesland allein hatte zahlenmäßig mehr Seeschiffe als Hamburg mit Bremen oder Oldenburg zusammen. Besonders viele Fahrzeuge waren auf den ostfriesischen Fehnen beheimatet. Viele Kapitäne hatten Seepässe nach Übersee. Manche waren gleichzeitig Reeder ihrer eigenen Schiffe. Andere fuhren im Dienste großer Reedereien. Diese bevorzugten vertrauenswürdige und erfahrene Schiffsführer möglichst mit ordentlichen, auf Seefahrtschulen erworbenen Patenten. Ein gesetzlicher Zwang bestand hierfür nicht. Friedrich II von Preußen ließ am 7. Dezember 1782 in Emden eine Schule einrichten, nachdem Gesandte ihm über ständige große Schiffsverluste im Nordseegebiet berichteten und sie zum Teil auf nautische Unkenntnisse der Schiffer zurückgeführt hatten.
Reeder, Schiffer und nautische Vereine unterstützen die Einrichtungen und suchten sie auch anderorts auf privater Grundlage einzurichten. Ein solcher Versuch misslang in Leer. Erst 1840 kam eine zweite Schule in Papenburg zustande. Dazu konnte im Jahre 1846 die Navigationsschule zu Timmel ihren Lehrbetrieb mit 23 Schülern aufnehmen. Den Sommerunterricht besuchten nur sechs; aber den folgenden Winterkursus bereits über 30 Schüler. Die beengten Mieträume gestatteten zunächst keine weiteren Zugänge. Mittlerweile war am 14. Februar 1845 die Seemannsprüfung gesetzlich und zwingend vorgeschrieben worden. Schiffer und Kapitäne konnten nur werden, wer wenigstens zwei Jahre Steuermann gewesen und mindestens 24 Jahre alt war. Der Staat setzte Kommissare für die Steuermannsprüfungen ein und ernannte einen solchen für die Timmeler Schule.
Zu jeder Navigationsschule gehörte auch eine Vorschule. Darin sollten die vielen Anwärter ohne ausreichende Kenntnisse für eine erfolgreiche Teilnahme an dem navigatorischen Unterricht vorbereitet werden. Viele vorwärtsstrebende Seeleute benutzten diese Gelegenheit besonders im Winter, wenn die Schiffe festlagen. Die Winterkurse der Vorschulen waren immer stark belegt. Durch anschließenden Unterricht an der eigentlichen Navigationsschule konnte dann dort das Steuermannspatent erworben werden. Die Schülerzahlen stiegen fortgesetzt. Manche wiederholten ihren Besuch, um ihre Kenntnisse zu festigen und die Schule kam solchen Schülern im Schulgeld sehr entgegen. Sie nahm für 1 Jahr oder 2 Semester vier Reichstaler; für das 3. Semester zwei Reichstaler und erhob bei noch längerer Teilnahme am Unterricht kein Schulgeld mehr.
Zeitweise musste die Vorschule wegen Lehrermangel geschlossen werden. Schließlich ließ das Kuratorium im Jahre 1856 am Schlackenweg südlich zu den Meeden ein zweigeschossiges Schulhaus errichten, konnte auch einen 2. Lehrer gewinnen und für bessere und ausreichende Unterkünfte im Dorfe für die Dauerschüler sorgen. Die Zahl der Schüler stieg überraschend auf 65 an. Im April 1868 ordnete der Oberpräsident die Umwandlung der bisherigen Vorschulen in Papenburg, Emden und Timmel in Navigations-Vorbereitungsschulen an, um den angehenden Seeleuten den Eintritt in die Navigationsschulen zu erleichtern. Jedem angehend konfirmierten Seemann stand es frei, in eine solche Schule einzutreten oder zu jeder Zeit wieder zu verlassen. Das Schulgeld wurde für jeden auch angebrochenen Kalendermonat auf 1 Reichstaler festgesetzt.
Ab dem 1. April 1870 konnten auch hier Seeleute auf kleine Fahrt vorbereitet werden und ihre Prüfungen ablegen. Wieder behinderten Lehrernöte zeitweise den Unterricht, bis im Jahre 1874 der Volksschullehrer Müller übertrat und als 2. Lehrer angestellt werden konnte. Ein Erweiterungsbau musste ausgeschrieben und im Jahre 1876 eine Parallelklasse eingerichtet werden. Ein neuer Steuermannskursus zum 1. Februar 1879 macht uns mit Dauer, Schulgeld und Voraussetzungen bekannt. Für den etwa 9 monatigen Lehrgang waren 36 Mark zu zahlen. Verlangt wurden eine leserliche Handschrift, die Fähigkeit, sich in der deutschen Sprache mündlich und schriftlich verständlich auszudrücken, die Grundrechenarten mit gewöhnlichen Brüchen, Dezimalbrüchen und Buchstaben kennen, mit Proportionen rechnen und Quadratwurzeln ziehen zu können.
Mit den in Timmel erworbenen Patenten und erlangten gediegenen Kenntnissen umsegelten einzelne Kapitäne, worauf sie sich voller Stolz beriefen, noch ohne Motor und Maschine mit blankem Segel die ganze Welt. Mit der rückläufigen Segelschifffahrt auf den Fehnen begann auch die Schülerzahl zu sinken. Im Vergleich mit den anderen Navigationsschulen hatte Timmel fast jährlich die meisten Schülerzahlen. Die Windkraft wurde durch Dampfmaschinen ersetzt und Motoren. Nach dem 1. Weltkrieg kam die Königliche Navigationsschule zu Timmel ebenso wie die zu Emden und Westrhauderfehn zum Erliegen, Ende 1924 ging auch die Papenburger ein.
(Quelle: Maritimer-Denkmalschutz Timmel)
Graf Felix Luckner
Felix Luckner wurde am 9.Juni 1881 in Dresden geboren und wuchs bei seiner Großmutter in Halle/Saale auf. Schon früh interessierte er sich für die Seefahrt. Als 16jähriger heuerte er als Schiffsjunge auf dem russischen Vollschiff „Niobe“ an. 1907 erwarb er das Kapitänspatent an der Seefahrtsschule in Timmel. Bei Kriegsausbruch 1914 befand sich Luckner an Bord von S.M.S Panther. Da ihm der Dienst auf dem alten Kanonenboot zu langweilig war, meldete er sich zur Schlachtflotte. Von Oktober 1914 bis August 1916 diente er als Offizier auf S.M.S Kronprinz und nahm dabei auch an der Seeschlacht Skagerrak teil. Im Dezember 1916 wurde er Kommandant des Hilfskreuzers Seeadler. In dem von ihm geführten Kaperkrieg gelang es Luckner mit der Seeadler 3 Frachter und 13 Segler mit insgesamt 30 099 BRT aufzubringen. Sein ritterlicher Umgang mit den Gegnern und die Tatsache, dass während der gesamten Kaperfahrten kein Tropfen Blut vergossen wurde, verschaffte ihm Respekt und Anerkennung bei Freund und Feind.
Am 2. August 1917 wurde, nach Angaben Luckners, die Seeadler durch eine hohe Flutwelle, die bei einem Seebeben entstand, auf das die Insel umgebende Korallenriff gesetzt und zertrümmert. Das Schiff ohne Wache und so nah an einem Korallenriff zu ankern war zumindest sehr fahrlässig. Luckner ließ sich durch den Verlust des Schiffes nicht entmutigen. Ein aus der Heimat mitgenommenes Motorboot von 6 Metern Länge wurde mit Takelage und einem Maschinengewehr versehen. Am 23. August ging das Schiffchen unter dem Namen „Kronprinzessin Cecilie“ unter dem Kommando des Grafen und mit einer Besatzung von 5 Mann in Richtung Fidschiinseln in See.
Man plante, irgendein Schiff zu kapern und mit ihm den Rest der Leute vom Mopelia abzuholen. Vier Wochen lang dauerte die Reise auf See. Als sich Graf Luckner und seine Leute auf der Bakaya-Insel an Bord eines ankeraufgehenden amerikanischen Motorschoners in der Absicht eingeschifft hatte, das Fahrzeug in freien Gewässern zu kapern, wurden sie durch einen militärisch besetzten Regierungsdampfer daran gehindert und gefangen gesetzt; zunächst auf der Insel Suva, später in Auckland. Noch einmal gelang es Luckner auszubrechen. Am 13. Dezember 1917 floh er mit seinen Gefährten in dem Motorboot des Kommandanten des Gefangenenlagers und kaperten einen kleinen Segelschoner, der jedoch abermals von einem britischen Regierungsdampfer aufgebracht wurde. Bis zum Friedensschluss hat Australien dann die Besatzung der Seeadler im Zuchthaus von Auckland interniert.
Im Juli 1919 kehrte Luckner endlich aus der Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurück. Der Graf beginnt Vorträge über seine Abenteuer zu halten, die er mit schriftstellerischen Freiheiten auszumalen weiß. Im November 1920 beschließt er in Leipzig mit Freunden, „…vor Freunden und ehemaligen Feinden Vorträge zu halten… und die Brücke schlagen zwischen Menschen, die guten Willens sind, Friede und Freundschaft zu halten über Meere, Grenzen und menschliche Unvollkommenheiten…“ Dieser Gedanke war die eigentliche Geburtsstunde seiner ersten Amerikafahrt. Im März 1921 wurde er Kommandant des neuen Segelschulschiffes der Reichsmarine „Niobe“. Da ihm seine Vorträge wichtiger waren, als Kadetten auszubilden, nahm er 1922 seinen Abschied und schied als Korvettenkapitän aus der Reichsmarine aus.
Er reiste öfters zu einem Freund nach Schweden, war Gast am schwedischem Königshof und heirate Weihnachten 1925 seine schwedische Freundin Ingeborg Engström. Am 6. Juli 1926 fuhr er mit seinem Viermastschoner „Vaterland“ zum ersten Mal auf die Elbe hinauf. Am 22. Oktober 1926 traf das Schiff vor New York ein. Am 27. Oktober wurde er offiziell in der Stadt empfangen. Luckner hält eine Vielzahl und Vorträgen und wird in San Franzisko sogar Ehrenbürger der Stadt. Am 11. April 1927 wird Luckner und seine Mannschaft freudig in Bremen begrüßt. Es folgen eine Vielzahl von weiteren Reisen. 1939 kehrt er nach Deutschland zurück und wohnt fortan mit seiner Frau bei seiner Mutter in Halle/Saale. Hier treffen ihn Vorwürfe pädophile Neigungen zu hegen und mit den Spendengeldern für seine Fahrten allzu großzügig umgegangen zu sein.
Ein Ehrengerichtsverfahren wird in Gang gesetzt und Luckners Bücher aus den deutschen Bibliotheken entfernt. Im April 1945 verhindert er durch Verhandlungen mit den Amerikanern die Zerstörung der Stadt Halle/S. Er wird daraufhin zum Ehrenoberst der 104. US-Division „Timberwölfe“ ernannt. Beim Abzug der amerikanischen Truppen und der Übergabe der Stadt an die Rote Armee verlässt Luckner Halle/S. und geht in den Westen. Er beginnt wieder Vorträge zu halten und schreibt Bücher. 1953 erhält er das „Große Bundesverdienstkreuz“. Noch einmal besucht er 1964 seine alte Heimatstadt Halle/S., als sein Halbbruder Carl beerdigt wird. Am 13. April 1966 stirbt Graf Luckner in Malmö/Schweden, beigesetzt wird er auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.
(Quelle: Deutsche Schutzgebiete)
Das Gebäude
1985 wurde das Gebäude vom Land Niedersachsen als Eigentümerin zum Verkauf angeboten. Die Gemeinde Großefehn bekundete grundsätzliches Interesse. Nach einer eingehenden Bauuntersuchung wurde von dem Kauf Abstand genommen. Trotz der Baudenkmaleigenschaft waren erhebliche negative Veränderungen an der Bausubstanz vorgenommen worden. Die veranschlagten Restaurierungskosten überstiegen die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde bei weitem.
1984 erweckte das zum Verkauf stehende und total heruntergekommene Baudenkmal das Interesse des Dipl.-Ing. Heinrich G. Tergau aus Mittegroßefehn. Im Jahre 1985 kaufte er vom Land Niedersachsen das Objekt zum amtlich festgestellten Verkehrswert. Noch im gleichen Jahre wurde mit der Renovierung begonnen, nachdem mit der Gemeinde Großefehn ein Nutzungskonzept abgestimmt worden war.
Die Gemeinde Großefehn mietete einen Teil des Erdgeschosses für Fremdenverkehrszwecke an (Nutzung als Haus des Gastes bis 2001). Bei den Restaurierungsarbeiten wurde hinsichtlich Material und Farbgebung und der äußeren Gestaltung Rücksicht auf denkmalpflegerische Belange genommen.
Glanzstück der Aufenthaltsräume ist heute das Kapitänszimmer. Das freigelegte Mauergewölbe erinnert an einen Sakralbau und fasziniert Einheimische wie Gäste gleichermaßen. Selbst Fachleute sind erstaunt über diese Bauweise und räumliche Ausstrahlung. Das Baudenkmal Königliche Navigationsschule Timmel hätte sicherlich nicht erhalten werden können, wenn nicht Heiner Tergau zu einer herausragenden Unterstützung bereit gewesen wäre.
Somit bleibt ein maritimes Baudenkmal der Nachwelt erhalten, das in seiner Bedeutung weit über die regionalen Grenzen hinausgeht.